Armut macht krank - wo Armut herrscht, sind körperliche und seelische Erkrankungen häufige Begleiter
Viele von uns glauben, es gäbe in unserem reichen Land keine Armut mehr. Wenn man die offizielle Definition betrachtet, sind aber tatsächlich diejenigen unter uns armutsgefährdet, die monatlich von weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens leben müssen. Dies entsprach 2022/23 in Niedersachsen einem Einkommen von 1067 Euro.
Frauen haben in der Regel geringere Einkünfte und niedrigere Rentenansprüche als Männer. So erzielten im Jahr 2023 Bürger*innen über 65 Jahre ein durchschnittliches Bruttojahreseinkommen, das nicht viel höher als die oben genannte Armutsgrenze lag, nämlich von 18.663 Euro bei Frauen und von 25.559 Euro bei Männern. Daher beträgt die Armutsgefährdungsquote bei deutschen Seniorinnen rund 21%, die der männlichen Rentner 16 % und liegt nach Zahlen von 2021 um etwa 1% über der Armutsrisikoquote im restlichen Europa. Das Risiko bei Bewohnern mit Migrationsgeschichte stieg dabei von 2019 bis 2021 von 16% auf 28%. Wie überhaupt das Armutsrisiko Alleinerziehende, Senioren, Langzeitarbeitslose, Wohnungslose, Migranten, Psychisch Kranke und Asylbewerber besonders betrifft und inzwischen Kinder und Jugendliche überdurchschnittlich gefährdet.
Aber materielle Armut ist auch so gut wie immer mit mangelnder Teilhabe an Bildung, Beziehungen, Kultur, Perspektiven und an Gesundheit verbunden. Letzteres bedeutet: Armut macht krank und oft machen auch Krankheiten arm! Und wer arm ist, stirbt auch früher:
So beträgt weltweit die durchschnittliche Lebenserwartung bei Menschen mit niedrigem sozialem Status (je nach Quelle und Gesundheitswesen des untersuchten Landes) sieben bis elf Jahre weniger als die der Bewohner mit sehr guten Lebensbedingungen. Aber woran liegt das? Einfach gesagt:
Bei armen Menschen zeigen sich eine höhere Selbstmordrate, eine höhere Säuglingssterblichkeit, dazu steigen das Unfallrisiko und die Unfalltodrate; ärmere Menschen treiben weniger Sport und Gesundheitsvorsorge, ihre Lebensführung ist in der Regel ungesünder, es finden sich vermehrt Übergewicht, Nikotinabusus und Alkohol- sowie Drogenkonsum. Dies wiederum führt zu einer höheren Rate an chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Herzinfarkt, Bluthochdruck und Schlaganfall. Im Vergleich zur einkommensstärksten Bevölkerungsgruppe weist hierzulande die einkommensschwächste eine zweifach erhöhte vorzeitige Sterblichkeit auf.
Darüber hinaus haben Geringverdiener oft einen schlechteren Zugang zu unserem Gesundheitswesen. Man denke nur an die frühere Praxisgebühr (die Arme immer wieder an einem notwendigen Praxisbesuch gehindert hat) und die heute noch hohen Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen (Reha, Physikalische Therapie, Hilfsmittel) sowie die Rezeptgebühr für Medikamente, die deswegen oft nicht in Anspruch genommen werden. Auch im Bereich der Pflege verhindern die stetig steigenden Eigenanteile häufig Hilfeleistungen. Darüber hinaus gibt es Mitmenschen ohne jeglichen Zugang zum regulären Gesundheitssystem, die einzig auf ehrenamtliche Hilfe angewiesen sind: Nicht-Versicherte, Obdachlose, Migranten, Menschen ohne Papiere.
Und es erschweren oft eine geringere Bildung in Gesundheitsfragen, eine schlechtere Ernährung, mangelnde Sprachkompetenz oder Unwissenheit über Vorsorgeprogramme ein gesundes Aufwachsen und Altwerden.
Kurz gesagt: wer arm ist oder überhaupt nicht versichert, ist kränker und stirbt früher.
Was könnte verändert werden, um diese Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu verhindern?
Hier müssen diskutiert werden:
- die Einrichtung einer verpflichtenden Krankenversicherung mit gleichen Leistungen für alle in Deutschland lebenden Menschen
- die Abschaffung aller Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze
- eine Verstärkung von Präventionsangeboten, Gesundheitsunterricht in Schulen, Familienhebammen, kostenlose Sportangebote, kostenfreie Transportmöglichkeiten zum Arzt auf dem Land und für Menschen mit Handicap…
- Zugang zu allen Gesundheitsleistungen auch für Asylbewerber, Wohnungslose, Menschen ohne Aufenthaltstitel und Nicht-Versicherte
- Sprachmittler und Dolmetscher als Kassenleistung
- eine Veränderung der Pflegeversicherung hin zu einer Vollkaskoversicherung mit deutlicher bzw. kompletter Reduktion der Eigenanteile bei stationärer oder häuslicher Pflegebedürftigkeit
Ein echter Sozialstaat sollte diese Ideen verwirklichen. Damit gleiche Lebenschancen gleich lange, gesunde Lebensverläufe ermöglichen!
Dr. med. Cornelia Goesmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin
Veranstaltungshinweis
Der Seniorenbeirat Hannover lädt herzlich ein zum Tag der älteren Menschen
Wann: 1.10.2024 von 14.00 - 17.00 Uhr
Wo: VHS Hannover, Burgstr. 14, 30159 Hannover, großer Saal